Howdy... und tschüss

Gespeichert von James am So, 04/24/2022 - 08:44

Der Verlust eines geliebten Menschen ist hart. Sehr hart.
Ich habe - wie viele andere auch - schon einige Verluste in der Familie erlitten.
1994 meinen Opa, 2007 erst meinen Onkel, dann meine Mama, 2018 meine Oma und jetzt, am 12.04.2022, meinen Papa.
Jeder dieser Todesfälle war tragisch und zumeist auch regelrecht dramatisch in den Umständen drumherum. Der Tod meines Papas letzte Woche aber war etwas ganz anderes.

 

Aufgrund der Entfernung in meine alte Heimat - immerhin etwa 600 km - haben wir uns seit meinem Umzug nach Köln nicht mehr oft persönlich gesehen.
Einzelne Besuche in Bayern oder er kam auf Besuch nach Köln, u.a. zu meiner Hochzeit im Dezember 2017. Telefonieren war nie so seins. WhatsApp schon gar nicht. Dennoch hielten wir natürlich Kontakt und gerade in den letzten 3 Jahren telefonierten wir öfter.
Seit Ende Januar diesen Jahres ging es ihm nicht so gut. Nicht ungewöhnlich bei seiner doch sehr bunten gesundheitlichen Vorgeschichte (u.a. 3 Herzinfarkte Mitte der 90er Jahre), aber es war doch anders als zuvor. Auf Drängen und Bitten seines Umfeldes, so auch von mir, hatte er dann doch mal einen Termin beim Arzt vereinbart.
Aber dazu kam es nicht. Am 10.03. wurde er per Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Die Prognose war nicht gut. Mitgeteilt wurde uns sein Krankenhausaufenthalt übrigens von niemandem, trotz Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht als auch diversen Hinterlegungen von Kontaktdaten.

Wollten meine Frau und ich schon urlaubsmäßig und unabhängig von der Entwicklung am 21.03. zu Besuch zu meinem Papa, war das nun natürlich alles außer Urlaub. Ich sollte mit meinem Papa entscheiden, ob er eine Herz-OP bekommt oder nicht. Wir entschieden uns dafür. Und erst ging es ihm auch besser, so dass meine Frau und ich planmäßig am 25.03. wieder abgereist waren.
Danach überschlugen sich die Ereignisse aber.

Ich war gerade 4 Tage wieder Zuhause, als sich sein Zustand sehr verschlechterte und die einzige Möglichkeit sein Leben zu retten eine war, die mein Vater absolut ablehnte. Also fuhr ich per Zug wieder nach Bayern, um für ihn da zu sein. Ein Tag nach mir kamen meine Frau und mein Bruder mit dem Auto nach.
Die folgenden zwei Wochen waren geprägt von schweren Entscheidungen, jede Menge Organisatorischem und dem permanenten Warten auf den Anruf, der uns mitteilen sollte, dass Papa uns verlassen hat.
Eine Zerreißprobe für die Nerven aller Beteiligten. Letztlich hielt mein Papa - wie schon so oft zuvor - so lange durch, dass selbst die beteiligten Mediziner wieder einmal staunten. Nach 4 Wochen Krankenhaus und der Verweigerung jeglicher Behandlung außer Schmerzmedikation und Palliativmaßnahmen, zog er am 11.04. noch in das Seniorenzentrum, in welchem er selbst jahrelang als Hausmeister tätig war. Zum Glück ist meine Cousine dort die Pflegedienstleitung und konnte so mit steuern, dass alles glatt über die Bühne lief.

Nun wissen wir alle, dass Dank der Corona-Pandemie die Krankenhäuser und das gesamte Gesundheitssystem noch überlasteter sind als normalerweise, doch das Bild, das sich bei Übergabe ins Seniorenzentrum bot, war katastrophal. Von Pflege konnte keine Rede sein und Papa wurde daher erstmal von meiner Cousine gepeppelt und überhaupt mit dem Notwendigsten versorgt.
Am 12.04., gerade als wir Papas Wohnung aufgelöst, an den Vermieter übergeben und ich ihn bei der Stadtverwaltung umgemeldet hatte, schlief er um 17 Uhr für immer ein. In einem schönen Zimmer mit Blick auf die Alpen nach der herzlichen Versorgung meiner Cousine. Ein Tag nach seinem Umzug vom Krankenhaus ins Seniorenzentrum.

 

Wir haben ihn die letzten Tage begleitet, fast alles organisieren können was eben vor dem eigentlichen Ableben organisiert werden kann. Wir wussten was kommt, dauerte es sogar länger als alle Mediziner unter den Umständen erwartet hatten, und dennoch schmerzt sein Verlust unglaublich.

Mit Papa habe ich eine ganze Menge erlebt. Nicht nur viele Familienurlaube ins Burgenland, Südtirol, an die Ostsee und in den Bayerischen Wald sondern auch unzählige Bergtouren auf verschiedene Berghütten, teils mit der ganzen Familie, teils eben nur mit Mama, meinem Bruder, Papa und mir.
Zudem war er viele Jahre der 1st President und Mitgründer seines "Babys", dem Verein "Country & Western-Freunde Ostallgäu e.V.", den er bis an sein Lebensende auch als sein Lebenswerk ansehen durfte. Unter diesem Namen fanden unzählige Countryfeste, Veranstaltungen, Auftritte internationaler Musiker und dergleichen mehr statt und tun es noch immer. Der Verein feierte letztes Jahr sein 30-jähriges Bestehen und was mehr oder weniger als "Familienunternehmen" begann, ist heute ein anerkannter Verein im Süden Bayerns.
Zudem schrieb mein Papa als Hobby Geschichtsbücher, per Hand mit Füller, und füllte damit zahlreiche dicke Aktenordner mit der Geschichte der Menschheit in all ihren Facetten. Er wollte es nie veröffentlichen, zu bescheiden war er, um die ganze Arbeit für die Öffentlichkeit bereit zu stellen.

Nicht zu vergessen was er mit meiner persönlichen Geschichte alles erlebt hatte. Zum einen verlor er zwar seine Wunschtochter, als ich meine Transition beging, zum anderen nahm er mich aber nach der Eingewöhnung als seinen 2. Sohn an. Er fuhr mit mir etliche Male nach München zu Arztterminen, brachte mich ein ums andere Mal zur Klinik, in der ich operiert worden war, und so vieles mehr. Er wollte nie etwas dafür haben. Auf das "Danke" meinerseits kam immer nur ein "ist doch selbstverständlich".

Überhaupt hat er nie die Lorbeeren für seine Arbeit einheimsen wollen, im Gegenteil. 
Ich bin froh, dass ich ihn auf dem letzten Weg soweit es ging begleiten konnte. Und doch kommt der Schmerz erst jetzt richtig an.

Papa du fehlst mir. Ich hoffe, Dir geht es da nun besser wo Du jetzt bist.

Um es mit deinen Worten zu sagen: Howdy... und tschüss!

Abschied Papa