Die Sache mit dem Mitgefühl

Gespeichert von James am Do, 05/03/2018 - 17:00

Kennst du das auch? Wenn jemand, der dir nahesteht, so leidet, dass es dir selbst Schmerzen bereitet? Wenn derjenige sein Leben nicht so gestalten, leben kann wie er es möchte? Weil ihn etwas daran hindert, er selbst zu sein? Dass es so einschränkt, dass selbst der Alltag zur Qual wird?

 

Sicherlich hat das jeder mal zumindest ansatzweise erlebt. Man nennt es wohl Empathie. Eine sehr wichtige Sache, die aber auch lähmen kann. Schlechtes Gewissen begleitet einen, da man vieles machen kann was der andere nicht kann. Man verzichtet dann auf all das, um das schlechte Gewissen nicht zu füttern. Immer wieder wird einem gesagt, man solle doch machen was man eben wollte und solle nicht ständig verzichten. 

Aber da ist nicht nur die Empathie, das Mitgefühl und das schlechte Gewissen. Man hat dann auch keine Lust mehr auf das eben Gewollte, weil man es nicht allein machen will, es mit dem anderen viel mehr Spaß macht oder er gar der Grund für die Idee war.

 

So geht es mir seit einigen Jahren. Ich bin ein äußert empathischer Mensch, mir geht vieles schnell nahe. Ein Segen und Fluch gleichermaßen.
Aber es gibt Menschen, da ist es bei mir noch extremer.

Meine Frau leidet an Lipödem, einer krankhaften Fettverteilungsstörung, bei der das Lymphsystem nicht ordentlich arbeitet und all den Zellmüll, der sonst abgebaut und -transportiert würde, in den Zellen ablagert. Die Folge ist unkontrollierte Zunahme, Umfangsvermehrung an Armen, Beinen, Hüfte, Hintern, Bauch… Die Körperpartien sehen nicht aus wie das typisch angefressene Fett, sondern ist knotig, härter, wolkenartig in der Form.

Das verursacht starken Druckschmerz, Spannungen an den betroffenen Stellen. Es lähmt, macht schwerfällig und in Folge oftmals depressiv. Letzteres eben auch wegen der vielfachen dummen Sprüche und Blicke anderer, die ihre eigene Unzulänglichkeit damit kompensieren wollen, andere Menschen schlecht zu machen. 

Meine Frau geht trotz allem noch ihre 40 Std. pro Woche arbeiten, ackert die Stunden in 4 Wochentagen runter und fährt dafür täglich 120 km mit dem Auto. Den Heimweg schafft sie selten am Stück, muss Pausen einlegen um die schmerzenden Beine zu vertreten. Abends schafft sie zuhause kaum etwas, den Großteil Hausarbeit mache ich nach der Arbeit und am Wochenende. Koche meist, gehe einkaufen, putze die Wohnung. Meine Frau kann mir teilweise an manchen Tagen helfen, unter permanenten Schmerzen, mal mehr mal weniger. 

Sie trägt von morgens nach dem Aufstehen bis abends vor dem Schlafengehen Kompressionskleidung an allen Extremitäten, nur der mittlere Rücken, Decollete, Hände und im Sommer die Füße sind frei. Der Rest ist in Flachstrickkompression gezwängt, egal bei welchem Wetter. Sie geht mindestens ein Mal wöchentlich zur Lymphdrainge, ein Mal pro Quartal zum Phlebologen (Gefäßmediziner), muss regelmäßig Schmerzmittel nehmen, um den Alltag zu bestehen.

Meine Frau klagt dafür verhältnismäßig wenig, was ich ihr hoch anrechne. Wer darf sonst klagen wenn nicht Menschen in der Lage?

 

Was will ich nun mit all dem Geschreibsel bezwecken? 

Keinesfalls jammern, dass ich meiner Frau zu 10000 % beistehe, für die Liebe meines Lebens nehme ich das und noch mehr in Kauf.
Ich will dich und alle da draußen sensibilisieren. Begegnet euch mal wieder ein Mensch mit mehr Körperfülle und „watschelt wie ein Pinguin“, muss sich öfter setzen oder nimmt die Rolltreppe oder den Lift, bedenke denjenigen nicht mit abfälligen Blicken, spar dir dumme Kommentare demjenigen gegenüber oder zu deiner Begleitung, der Besagte könnte es hören. Schenke demjenigen lieber ein ehrliches Lächeln oder beachte denjenigen nicht. Alles ist besser als jemanden schlecht zu machen, oder gar Witze zu reißen oder Schlimmeres. Der Betreffende hat es sich wahrlich nicht selbst ausgesucht.

Und das betrifft natürlich viele andere Dinge im Leben auch. Schau immer hinter die Kulissen, ehe du urteilst. 

In diesem Sinne und bestem Gruß,

James

 

PS: wenn du mehr zum Lipödem erfahren willst, schau mal auf den Blog meiner Frau oder besuch die Webseite des Lipödem Hilfe e.V.