31.03. - International Transgender Day of Visibility 2023
Ich bin ein Mann. Das steht in meiner Geburtsurkunde, in der Meldebescheinigung, würde im Reisepass stehen und man sieht es mir an.
Niemand in meinem Alltag zweifelt daran, egal ob derjenige mich kennt oder nur beim täglichen Gang zur Straßenbahn an mir vorbeiläuft oder mir beim Einkaufen begegnet.
Aber ich bin auch trans*. Im Jahr 2002 im zarten Alter von 17 Jahren hatte ich endlich das Wort gefunden, das mir und dann auch meinem Umfeld eine Bezeichnung gab, was schon lange klar war.
Als Mädchen aufgewachsen, passte ich nie in das Schema eines klassischen, langhaarigen blonden Mädchens, das in dem scheinbaren Bilderbuchidyll einer bayerischen Kleinstadt lebte. Das bemerkten Eltern, Familie, Freunde, das ganze Umfeld.
Nach der Selbsterkenntnis und den ersten Outings im nahen Umfeld, wurde es schnell unangenehm.
Während der Großteil der Familie und einem kleinen Teil der Freunde nur ebenso wie mir ein Licht aufging und sie mich seitdem unterstützten, missfiel dem Rest offenbar, dass in ihrem vermeintlichen Idyll nun ein "Exot" rumlief. Das reichte von argwöhnischen Blicken, beleidigenden bis verletzenden Sprüchen ("Sowas wie dich hat man früher vergast") bis zu körperlichen Übergriffen.
Die dummen Sprüche und Übergriffe wurden weniger, als ich nach langer Zeit der Gutachtertermine und medizinischer Untersuchungen im Jahr 2004 meine Hormonbehandlung anfing und ab 2005 auch die operativen Eingriffe begannen. Das Äußere passte immer mehr zu meinem Inneren, meinem Verhalten. Und nach und nach ebbten auch die Sprüche der Skeptiker ab, die es als pubertäre Spinnerei abtaten.
Das alles war Anfang der 2000er, bis ich 2007 die Flucht nach vorn nach Köln antrat. Seitdem hat sich sehr viel getan. So ist es z.B. seit 2011 gesetzlich nicht mehr vorgeschrieben, dauerhaft fortpflanzungsunfähig zu sein, um den Geschlechtseintrag in der Geburtsurkunde ändern zu lassen. Diese menschenverachtende Vorgabe hatte das Bundesverfassungsgericht kassiert, wie so viele zuvor.
Jetzt ist endlich das langjährig angekündigte Selbstbestimmungsgesetz auf dem Weg, mal sehen wie dieses konkret bei dessen Verabschiedung aussieht.
Diese Freiheit gibt es zum Glück hierzulande.
Aber auch hier in Deutschland gibt es weiterhin Übergriffe aller Art gegen uns, quer durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten.
Die Stimmung ist in vielen Ländern schlecht bis katastrophal gegen uns. Bestes Beispiel ist aktuell die vermeintlich so hoch entwickelte USA, in denen - Stand 31.03.2023 - seit 2022 über 600 (!) verschiedene Gesetze verabschiedet und noch deutlich mehr vorgeschlagen wurden, um die Rechte von trans* Menschen massiv zu beschränken, inkl. Verboten gegen Eltern ihr Kind auf dem Weg zum eigenen Selbst zu unterstützen und sogar Strafverfolgung aller Unterstützer inkl. Medizinern.
Republikaner rufen sogar offen zum Genozid von trans* Menschen auf. Michael Knowles (Sprecher bei der Conservative Political Action Conference) sagte Anfang März 2023 wortwörtlich "Transgenderism must be eradicated", also wörtlich "Transgenderismus muss ausgerottet werden". Die Rede ging noch darüber hinaus. Videos hierzu gibt es zuhauf im Internet.
Diese Entwicklung ist bedrückend, unfassbar und macht Angst! Trans* Jugendliche zählen seit je her zu den suizidgefährdensten Menschengruppen. Doch nicht, weil sie mit sich selbst nicht einverstanden sind, sondern wegen der Repressalien des Umfelds.
Auch die Gewalt gegen trans* Menschen steigt weltweit an. Darüber liest man nur, wenn man explizit die entsprechenden Nachrichtenmedien absucht.
Läuft dagegen ein Mensch Amok, wie in einer Grundschule in Tennessee am 27.03.2023, von dem gesagt wird, dass es sich um einen Trangender handelte, da ist die Aufmerksamkeit da.
Nicht nur Republikaner, für die das ein gefundenes Fressen in ihrem Hass gegen LGBTQIA* Menschen ist, schieben das als Grund für den Amoklauf vor. Auch Medien greifen diesen Unsinn auf, dass die Tatsache, dass der Täter (vermeintlich) trans* war der Grund für den Amoklauf war.
Stattdessen wäre es allerhöchste Zeit die laschen Waffengesetze in den USA endlich zu reformieren. Aber die Lobby der Waffenfans ist eben deutlich größer als die meiner Mitstreiter*innen.
Wir trans* Menschen sind ein einfaches Ziel für so vieles. Was die Homosexuellen in den 80er bis in die 90er Jahre waren, sind nun wir.
Waren trans* Menschen jedoch mit an vorderster Front dabei, als im Juni 1969 die Stonewall Riots in New York City losbrachen und so der Grundstein für die Pridebewegung gelegt war, so stumm sind viele Homosexuelle nun, wenn es darum geht, uns trans* in unserem Kampf gegen Repression und gar Ausrottung zu helfen. Immer getreu dem Motto "was hab ich damit zu tun?"
Der heutige internationale Transgender Day of Visibility ist so wichtig wie lange Zeit nicht mehr. Wir kämpfen hier für unsere Rechte, um unser Überleben!
Schon vom 01.10.2021 bis 30.09.2022 wurden nachweislich weltweit 391 trans* Menschen ermordet.
Seit dem 01.10.2022 bis 31.03.2023 sind 164 weitere Morde gemeldet, die Zahl steigt stetig weiter (Quelle). Die Dunkelziffer ist noch deutlich höher.
Wir brauchen jede Unterstützung! Nicht nur dann, wenn die Pride Paraden im Sommer durch die Lande ziehen, sondern das ganze Jahr über. Der Wind wird rauer und entwickelt sich immer weiter zum tobenden Sturm.
Bitte steht uns zur Seite und lasst uns im Sturm nicht untergehen.
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